Montag, 15. Juni 2015

"Demut heißt, sich nicht vergleichen." - Dag Hammarskjöld

Ab und an nehmen ich ja sehr gerne an Bines Schreibzeit-Aktion teil. Im April war das Thema "Demut" und sie hat mich mit ihrem Post sehr berührt. Ich bin zwar etwas spät dran, möchte aber trotzdem noch teilnehmen. Meine ganz eigene Lektionen zum Thema Demut habe ich in den letzten sechs Jahren gelernt. 

Lange stand für mich fest, was ich mir im Leben wünsche. Angefangen, als ich auf der Grundschule war: Ich wusste, auf welches Gymnasium ich gehen möchte, dass ich kein französisch lernen möchte, dass ich Latein lernen möchte, um nach dem Abitur Jura zu studieren. Aus diversen Gründen wurde es kein Jura-Studium, stattdessen kam nach dem Abi die Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten. Im Nachhinein ein wirklicher Glücksfall, der mich zu dem Job und der Firma gebracht hat, in der ich jetzt arbeite und wo ich mich sehr wohl fühle. Weiter im Text: Einen Mann wollte ich finden - nicht ohne vorher andere Exemplare verglichen zu haben -, ihn heiraten und mit ihm Kinder bekommen. Zwei. Alles hat ganz wunderbar funktioniert, es kam sogar noch das eigene Häuschen mit dazu und nach der Hochzeit sollten nun also die Babys folgen. 




Selbstverständlich gab es seit der Hochzeit auch immer wieder neugierige Fragen, ob und wann denn mit Nachwuchs zu rechnen sei. Mit der Möglichkeit, dass es nicht auf Anhieb klappen könnte, habe ich nicht gerechnet. Bisher hat immer alles geklappt, was ich mir vorgenommen habe. Ich dachte, mit Fleiß, Ehrgeiz und ein bisschen Glück, kriegt man alles hin. Tja. 

Das erste halbe Jahr Babywunsch ist ja noch ganz lustig. Danach lernte ich erstmal eine Menge über den weiblichen Zyklus, richtige Zeitpunkte und vermeintlich nötige Entspannung. Erst war ich unruhig wegen des "Misserfolgs", irgendwann war auch der weltbeste Göttergatte der Meinung, dass ein Arztcheck vielleicht nicht schaden würde. Zu diesem Zeitpunkt versuchten wir seit 1,5 Jahren schwanger zu werden und zumindest ich fand das beständige Nachfragen Bekannter und die diversen "Juchu, wir kriegen ein Baby"-Meldungen um mich rum nicht mehr lustig. 

Es folgte ein gutes Dreivierteljahr mit Untersuchungen, genau vorgegebenen Zeitplänen, Hormonspritzen und schließlich einer Insemination, die uns zum Erfolg führte. Wir haben also über zwei Jahre gebraucht, um das zu schaffen, was ich als so selbstverständlich erwartet habe. Auch heutzutage, wo man alles kaufen und bekommen kann, wo wir im Überfluss leben und "Zielerreichung" nur eine Frage des Wollens und der eigenen Leistung ist, gibt es noch Dinge, die man nicht steuern, beeinflussen und erzwingen kann. Ich fragte mich, wie ein Leben ohne Kinder wohl wäre. Ob ich glücklich sein könnte. Wie ich den Rest meines Lebens verbringen würde. Ob es nicht irgendwie sinnlos wäre. Was ich eigentlich mache, wenn meine Familie nicht mehr da ist - ich bin die einzige Tochter meiner Eltern, alle Familienmitglieder sind einiges älter als ich. 

Ich bin nicht gläubig, aber ich hoffe, dass es irgendjemanden oder irgendetwas gibt, der ein Auge auf uns hat und unsere Leben beeinflusst. Heute bin ich jedenfalls sicher, dass mir diese Zeit rückblickend gut getan hat - ich habe meine Lektion gelernt. Etwas überheblich habe ich bis zum damaligen Zeitpunkt alles als selbstverständlich hingenommen. Ich habe viel über mich selbst und über Wertschätzung gelernt und mir vorgenommen, viel öfter dankbar zu sein. Meistens klappt das auch ganz gut ;-) 

Zweieinhalb Jahre später entschieden wir uns für ein zweites Kind. Dieses Mal wussten wir ja, wie wir zum Erfolg kommen könnten. Im Gegensatz zum ersten Mal brauchten wir dieses Mal drei Anläufe, bis es gefunzt hat. Auch diese Wartezeit war aufregend - natürlich -, aber ich konnte sie besser hinnehmen. Auch wenn Mausepaulchen ein Einzelkind hätte bleiben müssen, es wäre nicht schlimm gewesen. Wir wären auch so glücklich gewesen und ich hätte mich gefreut, dass ich überhaupt erleben darf, wie schön es ist ein Kind aufwachsen zu sehen und Mama zu sein. Ich hätte es nicht als persönliche Niederlage empfunden, wenn mein Traum von zwei Kindern nicht in Erfüllung gegangen wäre. 

Gerade deswegen bin ich so dankbar, dass unsere Püppi doch zu uns kommen wollte und wir nun komplett sind.   


Auch in kleinen Dingen tut Demut gut: Als die erste Strampelhose endlich passte, wollte ich sofort und unbedingt noch eine haben und mal eben ganz schnell nähen. Naja, wie das so ist, viel Zeit am Stück gab es zwischen Stillen, Wickeln & Co. nicht, also habe ich häppchenweise an der Hose gearbeitet. Im "schnell schnell" sind natürlich diverse Fehler passiert... Beleg für die Rückseite nicht richtig zugeschnitten (und viel zu spät bemerkt), mit der Ovi ein Loch ins Vorderteil gehauen... Naja. Beim nächsten Projekt nehme ich mir ganz fest vor, wieder konzentrierter zu sein. Und es nicht als selbstverständlich anzusehen, dass alles leicht von der Hand geht!  

Stoff: Ringel-Bambusfrottee von Aladina, Uni-Jersey von Michas, Bündchen vom Stoffmarkt
Applikationen: Aus Altbeständen meiner Mama
Schnitt: Strampelhose von Klimperklein

So. Und jetzt gucke ich einfach weiter mein schlummerndes Babymädchen an, bin dankbar, ein bisschen stolz, weil sie eine vor Schönheitsfehlern strotzende, aber selbstgenähte Hose trägt und ein bisschen demütig, weil ich ein solches Glück erleben darf!

Verlinkt bei Bines Schreibzeit und beim Creadienstag

Noch ein kleines P.S.: Lange habe ich überlegt, ob ich zum Thema unerfüllter Kinderwunsch überhaupt etwas schreiben soll... letztlich habe ich mich dafür entschieden. Ich war damals sehr überrascht, wie tabubehaftet das Thema doch ist. Ich kenne niemanden im engeren Freundeskreis, der in einer Kinderwunschpraxis war und darüber spricht. Entweder "mussten wir ganz schön lange üben" oder "es sollte halt einfach nicht sein und inzwischen ist es auch gut so". Über die psychisch und auch (für die Frauen) physisch anstrengende Kinderwunschzeit liest man selten etwas. Dabei hätte es  mir damals doch sehr geholfen, mich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, ohne gleich einer Selbsthilfegruppe oder ähnlichem beitreten zu müssen. 

2 Kommentare:

  1. Liebe Nina, ich bin immer wieder überrascht, wie richtig gut du deine Gedanken niederschreiben kannst, sei es die Formulierung oder überhaupt, wie du über alles denkst und fühlst. Ich finde das supertoll und bin manchmal richtig gerührt. Wenn mal eine ganze Weile nichts Neues zu lesen ist, werde ich schon ganz ungeduldig ;). Vielen Dank für deinen schönen Blog! Und die Strampelhose ist dir trotz Schönheitsfehlern gut gelungen. Liebe Grüße Ramona

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    1. Mensch, da werde ich ja ganz rot! Danke, Dein Lob freut mich sehr!!! Viele liebe Grüße und genießt die sturmfreie Bude ;-)

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